„Rotes Kreuz ist in mir drin“ – Kreissozialleiterin Ursel Müller-Eckstein im Gespräch
Ursel Müller-Eckstein ist so etwas wie die Grande Dame des DRK Stuttgart: Als 37-Jährige stieg die gebürtige Stuttgarterin ehrenamtlich beim DRK Kreisverband Stuttgart ein und legte eine beeindruckende Karriere zurück. Heute feiert die Vizepräsidentin und langjährige Kreissozialleiterin ihren 80. Geburtstag. Wir haben mit ihr ein Gespräch geführt – über die Anfänge, Erfolge, Schwierigkeiten und Wünsche für die Zukunft.

Frau Müller-Eckstein, wie sind Sie eigentlich 1980 zum Deutschen Roten Kreuz Stuttgart gestoßen?
Ich komme ursprünglich von der Fliegerei. Ich war Stewardess, danach stellvertretende Chefhostess, habe zwei Weltrundflüge gemacht, wo ich für Passagiere, Cabincrew und Organisation aller Mahlzeiten verantwortlich war und mich nur mit dem Captain abgestimmt habe, und war später Ausbilderin bei der Lufthansa in Frankfurt. 600 Frauen – damals waren es nur Frauen - habe ich in vier Jahren ausgebildet. 1975 habe ich geheiratet und bin nach Stuttgart zurückgekommen, wo ich für die Lufthansa das Aquisitionsbüro gemacht habe. Nach vier Jahren hab‘ ich gedacht: jetzt möchte ich auch mal nix tun. Aber Nichtstun war nichts für mich. Und dann war da so eine winzig kleine Anzeige in der Zeitung.
Eine Annonce des DRK?
Ja, das Haus am Killesberg hat jemanden für Büroarbeiten gesucht. Da hab‘ ich angerufen und gleich den Heimleiter drangehabt. „Aber wir sind ein Altenheim“, hat er gesagt – „Des macht nix, ich hab‘ keine Berührungsängste mit alten Menschen“, hab‘ ich geantwortet. Ich hab‘ mir schon als kleines Kind, wenn jemand daheim krank war, so ein Kopftuch aufgesetzt wie die katholischen Schwestern. Also Rotes Kreuz ist in mir drin, ich bin auch immer mit einem Rote-Kreuz-Köfferle rumgerannt.
Beim Vorstellungsgespräch haben Sie die dann die damalige Kreissozialleiterin kennengelernt.
Ja, und sie hat gesagt: „Sie kommen zu mir“. Dann war ich als Ehrenamtliche engagiert und durfte gleich das ganze Heim, so etwa 70 bis 80 Leute, auf einem Schiffsausflug ab Cannstatt an der Wilhelma betreuen, weil die Kreissozialleiterin auf eine Reise musste. „Des machen Sie schon“, hat sie gesagt. Und ja, alles ist gut über die Bühne gegangen. Alle sind wieder lebendig zu Hause angekommen. Im Haus auf dem Killesberg war und bin ich bis heute durch mein dortiges Büro verortet.
Sie sind als 37-Jährige beim Roten Kreuz eingestiegen, elf Jahre später wurden Sie schon zur Kreissozialleiterin beim DRK Stuttgart gewählt. Was macht eine Kreissozialleiterin?
Die Kreissozialleiterin ist zuständig für die Gewinnung und die Führung Ehrenamtlicher im Sozialbereich, sie stellt sie ein und sie entlässt sie. Ich bin die Ansprechpartnerin für rund 200 Leute gewesen, jetzt sind es nicht mehr so viele, jetzt sind es über 100. Und man muss wissen: Die Sozialarbeit ist erst 1980er Jahren als eigenständig beim DRK anerkannt worden und auch im Vorstand vertreten gewesen, davor war sie von den Bereitschaften mitgemacht worden. Ich habe viele altersrelevante Gremienarbeit gemacht, um daraus Ideen, Anregungen und viele Kontakte zu gewinnen. Mit den vielen Anregungen habe ich die Sozialarbeit angereichert.
Sie haben viel angestoßen, was auch heute noch läuft wie zum Beispiel die Wohnberatung oder die monatlichen Abendtreffs für Frauen „Leben mit Krebs“ als Selbsthilfegruppe.
Ja, aber davor habe ich noch was anderes angestoßen. Alle unsere Autos waren damals weiß – kein Aufdruck, kein gar nix. Zwei Jahre habe ich dafür gekämpft, bis unsere Autos beschriftet wurden und wir auch sichtbar wurden. Und ja, mein Vater ist an Krebs gestorben, ich habe mich mit dem Thema befasst und das DRK hatte auch schon vor meiner Zeit ein Projekt mit Mildred Scheel (Anmerk. der Redaktion: Ärztin, Gründerin der Deutschen Krebshilfe und Frau des Bundespräsidenten Walter Scheel, die 1985 an Krebs gestorben ist). Ich hab‘ dann zusammen mit einer Dame aus dem Landesverband eine Abendgruppe für Frauen mit Krebs im Kreisverband Stuttgart initiiert.
Großen Anklang fand auch ein von Ihnen initiiertes Projekt für ältere türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger, das mittlerweile in einer städtischen Begegnungsstätte fortgeführt wird.
Das Projekt kam zustande, weil ich eine engagierte türkischstämmige Stuttgarterin kennengelernt habe, eine Seelenverwandte, wir haben uns auf Anhieb verstanden. Wir haben uns überlegt: Wir machen ein Treffen und haben dann zusammen mit dem türkischen Frauenverein in die Feuerbacher Moschee eingeladen. Das war schon etwas Besonderes und es war sehr voll damals. Wir haben dann erzählt, dass wir Kurse machen, dass man informiert über Rente, Gesundheitsangelegenheiten, eben alles, was man wissen muss, wenn man hier lebt. Und das hat das Rote Kreuz mit „Älter werden in Deutschland“ eingeführt.
Und daraus resultierten dann die Nachmittagstreffen in der DRK-Kreisgeschäftsstelle, die gut 24 Jahre stattfanden.
Ja, wir haben gesagt, einmal ein Kurs bringt gar nix, daher haben wir einmal im Monat Nachmittagstreffen angeboten mit Vorträgen über Patientenverfügung, Krankheitsbilder, Wahlrecht und so weiter. Meine Freundin hat in die Hand genommen, die Leute zu organisieren. Und das funktionierte. 20 bis 50 Menschen kamen zu den Treffen. Leider ist meine liebe Freundin nach etwa acht, neun Jahren an Krebs gestorben. Eine solch tiefe Freundschaft habe ich noch selten gehabt und ich habe sehr viel Einblicke in die Kultur und den Glauben mitbekommen. Ich war auch vier Mal bei meiner Freundin in Istanbul eingeladen - eine schöne Zeit mit sehr viel neuen Erkenntnissen.
Anlässlich der vielen Auszeichnungen, die Sie im Lauf Ihrer DRK-Karriere erhalten haben, wird immer wieder Ihr außerordentlicher Einsatz an Kraft und Zeit gelobt, Ihre Begeisterung und Leidenschaft, Ihr ständiges Bemühen um neue Ehrenamtliche. Hat sich in puncto Gewinnung Ehrenamtlicher fürs DRK etwas verändert?
Früher ging die Gewinnung Ehrenamtlicher direkt über mich. Ich hab‘ den Menschen das Spektrum aufgezeigt, was bei uns möglich ist an ehrenamtlichen Tätigkeiten, und immer geschaut, dass es auch zu den Menschen passt. Aber einfach war die Gewinnung Ehrenamtlicher schon damals nicht. Und heute wollen viele nicht mehr gebunden sein, das braucht man halt, wenn man mit Menschen direkt zu tun hat. Außerdem kostet die Ausbildung – zum Beispiel von Übungsleiterinnen und -leitern – Geld, daher müssen die Menschen, die sowas machen wollen, auch zuverlässig sein.
Sie feiern dieses Jahr Ihren 80. Geburtstag, das DRK Stuttgart als weltweit älteste Rotkreuzgemeinschaft außerhalb der Schweiz den 160. Geburtstag. Haben Sie Wünsche für die Zukunft des DRK?
Dass man prüft, was einen Wert fürs DRK hat, dass man Schwerpunkte setzt und Dinge, die auslaufen, dann auch auslaufen lässt, wenn es nichts mehr bringt.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Müller-Eckstein!